Die Senioren-EM aus Schiedsrichter-Sicht

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Die Senioren-EM aus Schiedsrichter-Sicht

Bereits im Flieger nach Zagreb traf ich einen Teil der Schweizer Delegation. Die Vorfreude bei den Spielern war greifbar. Von Zagreb aus ging es mit dem Bus knapp eineinhalb Stunden in Richtung Podcetrtek (SLO), wo ich mir mit meinem englischen Schiedsrichterkollegen David Evans ein Doppelzimmer teilte. Nach einem ersten Augenschein der Anlage freute ich mich bereits darauf, das riesige Spa zu testen.

Am Abend vor Turnierbeginn trafen sich die 31 Schiedsrichter mit den vier Referees, sowie drei Assessoren von Badminton Europe zum Briefing. Zusammen mit 15 anderen Kandidaten absolvierte ich anlässlich der Senioren-EM mein Assessment zum Badminton Europe Accredited Umpire.

Eine Senioren-EM ist ein Grossanlass - hier ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: Über 1000 Spielerinnen und Spieler absolvierten eine unglaubliche Anzahl von 1332 Spielen! Ich selbst war insgesamt 92 Mal im Einsatz, davon 47 Mal als Schieds- und 45 Mal als Aufschlagrichter. Rechnet man mit einer durchschnittlichen Spielzeit von 30 Minuten (Sammeln beim Meetingpoint, auf und wieder vom Feld gehen), ergibt das ca. 46 Stunden Einsatzzeit.

Bei diversen Einsätzen in den ersten Tagen durfte ich auch Spiele mit Schweizer Beteiligung schiedsen. Ab Freitag (Viertelfinals) wurde dem Neutralitätsaspekt Rechnung getragen. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre dies bei der Menge an Spielen gar nicht möglich gewesen. Bei jedem Spiel des Turniers waren 2 Linienrichter im Einsatz. Die Linienrichter setzten sich aus Junioren der lokalen Clubs, sowie einer Gruppe von international erfahrenen Linienrichtern, wie unserer Yvonne Pedersen, zusammen. Die Zusammenarbeit war sehr angenehm, auch wenn der eine oder andere Junior ab und an eine zusätzliche Instruktion benötigte.

Wir arbeiteten von Sonntag bis Donnerstag in 3-er Gruppen auf dem gleichen Court. Jeden Tag wurden die Gruppen neu zusammengesetzt und ein anderer Court zugeteilt. Der eine oder die andere stiess da mit der Zeit an die Grenze der Belastbarkeit. Immer im Turnus Aufschlagrichter – Schiedsrichter - Pause arbeiteten wir von 9 Uhr bis 22 Uhr durch. Mittag- und Abendessen mussten in den Pausen reingequetscht werden. Das Essen, eine meines Erachtens gute und reichhaltige Auswahl, mochte ich sehr - ich freute mich jeweils am meisten auf die Suppe!

Die Schiedsrichter im Assessment standen ziemlich unter Druck. Die Assessoren machten es sich jeweils auf einem Stuhl direkt hinter dem Linienrichter gemütlich und notierten während der Spiele fleissig mit. Ich hoffte, dass das Positive bei mir überwog. Am Anfang war ich schon nervös, wenn ich einen der Assessoren auf meinem Court erspähte, das legte sich jedoch schnell.

Seniorenspiele zu schiedsen war eine komplett neue Erfahrung für mich. Einerseits erstaunlich, mit welcher Kadenz sich die S35 und S40 auf dem Platz bewegten, andererseits ebenfalls unglaublich beeindruckend, was die Protagonisten der S65 und S70 auf den Court zauberten. Alle Achtung und allerhöchsten Respekt davor! Ich habe viele wunderbare Momente und Emotionen erleben dürfen, welche mir in bester Erinnerung bleiben werden.

Mittwochnachmittag standen keine Einsätze an, sodass genügend Zeit war für einen entspannten Aufenthalt im Spa, den ich in vollen Zügen genoss und nach dreieinhalb Tagen ohne Pause nötig hatte. So konnte ich Kraft für die zweite Hälfte der Woche tanken.

Freitagabend war die Players and Officials Party im grossen Zelt vor der Halle, wo wir jeweils auch die Mahlzeiten einnahmen. Es war ein lustiges, fröhliches Miteinander mit viel slowenischem Essen, Musik und Tanz. – und sogar ich als bekennender Nichttänzer liess mich von der Hallenspeakerin zu einem Walzer überreden. Die Slowenen sind herzliche, freundliche Menschen. Wir hatten viele tolle Momente zusammen und fühlten uns sehr willkommen. Apropos herzlich. Ich schätzte den Austausch mit den Schweizern sehr, ab und an bot sich die Gelegenheit für einen gemeinsamen Schwatz. Die Stimmung im Schweizer Team nahm ich als grandios wahr und das Kuhglockengebimmel war in der Halle nicht zu überhören!

Nachdem Bettina Villars und Oliver Colin sich über die Bronzemedaille freuen durften, standen für mich am Samstag noch zwei Finalspiele an. Ich durfte das Herreneinzel S40 schiedsen und war Aufschlagrichter im Herreneinzel S35. Dabei waren noch einmal grosse Emotionen angesagt: Die überwältigende Freude bei den Siegern, die faire Gratulation der Runner-ups, ein letzter Handshake mit den Offiziellen.

Eine fantastische Woche neigte sich dem Ende zu. Wie gut der Zusammenhalt unter uns Schiedsrichtern ist, zeigte sich in innigen Umarmungen und vielen kullernden Abschiedstränen. Am Sonntag standen eine Wanderung und ein neuerlicher Spa-Besuch (ich könnte mich daran gewöhnen) auf dem Programm. Am Montag war Sightseeing mit Yvonne in Zagreb angesagt. Somit kehrte ich müde, ausgepowert, aber doch sehr glücklich in die Schweiz zurück, zudem ich das Assessment erfolgreich bestanden habe.

Bis bald auf dem Badmintoncourt!

Urs Ammann

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